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Wohnungsbesichtung um jeden Preis?

Will der Vermieter die Wohnung verkaufen, muss der Mieter ihm und den Kaufinteressenten Zutritt gewähren, so der BGH in einer Entscheidung aus dem April 2023. Ob dies auch bei einer schweren psychischen Erkrankung des Mieters gilt, muss das Tatgericht nun erneut klären.

Das Eigentumsrecht des Vermieters an der vermieteten Wohnung vs. das Recht des Mieters, in seinem Lebensmittelpunkt in Ruhe gelassen zu werden.

Damit musste sich der BGH bereits 2014 in einem Mietrechtsstreit befassen – und kam zu folgendem Ergebnis: Klauseln im Mietvertrag, die dem Vermieter den Zutritt zur Mietwohnung ohne besonderen Anlass gestatteten, seien unwirksam. Allerdings „besteht eine vertragliche, aus § 242 BGB herzuleitende Nebenpflicht des Mieters, dem Vermieter – nach entsprechender Vorankündigung – den Zutritt zu seiner Wohnung zu gewähren, nur dann, wenn es hierfür einen konkreten sachlichen Grund gibt“ (Urt. v. 04.06.2014, Az. VIII ZR 289/13). 

Diese beiden Voraussetzungen – sachlicher Grund und angemessene Vorankündigung – schienen in dem nun zu entscheidenden Rechtsstreit auf den ersten Blick erfüllt: Der Vermieter wollte seine Wohnung verkaufen und deshalb Kaufinteressenten durch die Wohnung führen. Die Mieterin sollte auch darin wohnen bleiben, denn der Verkauf der Mietsache lässt das Mietverhältnis unberührt, nur der Vermieter wechselt (§ 566 BGB). Es ging also allein um den Zutritt zum Zweck der Besichtigung. 

Der BGH sieht die Mieterin grundsätzlich in der Pflicht, Vermieter bzw. Bevollmächtigte sowie Kaufinteressenten in die Wohnung zu lassen (Urt. v. 26.04.2023, Az. VIII ZR 420/21). Dies folge zum einen – wie der BGH 2014 schon entschieden hatte – aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB sowie im vorliegenden Fall aus einer zulässigen mietvertraglichen Klausel. 

Die Besichtigung zum Zwecke des Verkaufs sei ein grundsätzlich berechtigender Grund, so der BGH. Die damit einhergehende Beeinträchtigung der Mieterinteressen sei „lediglich geringfügig“, diese müssten daher „regelmäßig hinter dem Interesse des Vermieters, über sein Eigentum frei verfügen und dieses bei Bedarf veräußern zu können, zurücktreten“. 

Das Tatgericht hatte in seine Interessenabwägung nicht nur Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) und Art. 14 GG (Eigentum), sondern auch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG einbezogen – das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der Mieterin.

Es hatte zu diesem Zweck ein psychiatrisches Sachverständigengutachten eingeholt, welches der Mieterin ein „komplexes psychisches Störungsbild mit depressiven Verstimmungszuständen, Ängsten, Zwängen und dissoziativen Störungen“ attestierte, weswegen sich diese „seit über 20 Jahren in – teilweiser stationärer – psychiatrischer Behandlung“ befinde. Mit Blick auf eine Wohnungsbesichtigung war das Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass „ein hohes Risiko für Handlungen mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zum vollendeten Suizid bestehe. Der ohnehin schon schlechte psychische Gesundheitszustand der Beklagten drohe sich im Falle eines Betretens der Wohnung durch Dritte weiter zu verschlechtern“, so das Gutachten.

Das Urteil des LG weist aus Sicht des BGH „in einem entscheidenden Punkt“ Rechtsfehler auf. Dies betreffe die tatrichterliche Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO, die im Rahmen der Revision eigentlich „nur eingeschränkt überprüft werden“ kann: auf Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und „Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze“. „Derartige Fehler sind dem Berufungsgericht hier aber unterlaufen“, so der BGH. 

Die Würdigung des psychiatrischen Gutachtens sei unvollständig, so der BGH.: Das LG habe sich nicht mit einer einschränkenden Passage auseinandergesetzt, „wonach sich das Risiko für gesundheitliche Komplikationen, wenn sich die [Mieterin] bei einem Betreten der Wohnung durch Vermieter, Kaufinteressenten oder Makler von einer Vertrauensperson beziehungsweise einem Rechtsanwalt vertreten lasse, im Vergleich zu einer Besichtigung bei persönlicher Anwesenheit der Beklagten verringere“. 

Ob diese Möglichkeit vorliegend in Betracht kommt und ob diese Einschränkung nicht in Widerspruch zu anderen im Gutachten getroffenen Feststellungen steht, wonach schon eines dem Vermieter Recht gebende Urteil ein Gesundheitsrisiko bedeute, habe das LG nicht überprüft. Nach Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung durch den BGH muss das LG diese Fragen nun tatrichterlich klären.