Reformiertes Vormundschafts- und Betreuungsrecht ermöglicht mehr Selbstbestimmung
Seit dem 1. Januar 2023 gilt ein reformiertes Vormundschafts- und Betreuungsrecht. Diese Reform war überfällig, nachdem die einschlägigen Vorschriften durch ihre Grundlagen im BGB vom 1. Januar 1900 sowie der Vielzahl von Änderungen über 120 Jahre hinweg unübersichtlich geworden waren und nicht mehr als zeitgemäß empfunden wurden.
Dabei handelt es sich beim Vormundschaftsrecht einerseits und dem Betreuungsrecht andererseits keinesfalls um ein und dasselbe: Das Betreuungsrecht betrifft erwachsene Menschen, die aufgrund einer Krankheit oder einer Behinderung nicht in der Lage sind, ihre rechtlichen Angelegenheiten teilweise oder vollständig zu besorgen. Dagegen finde das Vormundschaftsrecht Anwendung bei Minderjährigen, deren Eltern ihr Sorgerecht nicht mehr innehaben, sei es durch (teilweisen oder vollständigen) Entzug des Sorgerechts, Versterben oder weil sie im Ausland leben und nicht erreichbar sind.
Für den Rechtsanwender bedeutet die Reform zunächst, dass viele Vorschriften im BGB an andere Stelle verschoben wurden und man sich umgewöhnen muss.
Allerdings gibt es auch inhaltliche Änderungen. Etwa wurde im Betreuungsrecht klargestellt, dass ein Betreuer nur bestellt wird, wenn dies erforderlich ist und dass dies nicht der Fall ist, wenn andere Hilfe verfügbar und ausreichend sind. Hierzu zählen nunmehr ausdrücklich auch tatsächliche Unterstützungsleistungen durch Familienangehörige, Bekannte oder soziale Dienste. So erhält das Betreuungsrecht als Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen einen verstärkten Charakter als ultima ratio. Dies hält das neue Gesetz auch dadurch fest, dass den Betreuer eine Pflicht zu Wunschbefolgung trifft. Der Betreuer muss ich durch regelmäßige persönliche Kontakte und Besprechungen anstehender Entscheidungen ein Bild davon machen, welche Wünsche die betreute Person hat und was sie nicht will. Dies wurde in der Vergangenheit zwar von den meisten Betreuern bereits so gehandhabt, ist nunmehr aber ausdrücklich geregelt worden.
Im Vormundschaftsrecht ist zentral, dass die Rechte des Mündels einerseits und Pflichten des Vormunds andererseits jetzt ausdrücklich normiert wurden. Zudem werden die Rechte von Pflegepersonen, bei denen ein Mündel aufwächst, gestärkt, um das Entstehen familienähnlicher Strukturen zugunsten des Mündels zu begünstigen. Eine wichtige Neuerung ist zudem, dass, wenn noch nicht feststeht, welche Person zum Vormund bestellt werden soll, vorübergehend ein Vormundschaftsverein oder das Jugendamt als vorläufiger Vormund bestellt werden können. So wird mehr Zeit gewonnen, um den für das Mündel am besten geeigneten Vormund ermitteln zu können. Dem Vormundschaftsrecht wird so insgesamt der Charakter des Vorsetzens einer fremden Person gegenüber dem Mündel genommen. Wobei ehrenamtliche Vormünder aus dem Umfeld des Mündels nach wie vor zu bevorzugen sind, auch wenn leider oft keine entsprechende Person infrage kommt.
Im Kontext der Reformen des Vormundschafts- und Betreuungsrechts steht auch das nunmehr geltende Notvertretungsrecht für Ehegatten: Viele Menschen gehen davon aus, dass man sich als Ehegatten grundsätzlich gegenseitig vertreten darf. Das ist jedoch nicht der Fall. Diese Regelungslücke wurde nun für die Fälle geschlossen, in denen ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge nicht mehr selbst besorgen kann. In diesen Fällen dürfen Ehegatten nunmehr in ärztliche Eingriffe einwilligen und Behandlungsverträge abschließen. Dennoch ist aufgrund des beschränkten Umfangs dieses Notvertretungsrechts nach wie vor zu einer Patientenverfügung sowie einer Vorsorgevollmacht zu raten, um für Rechtssicherheit zu sorgen und auch für sich selbst die eigenen Wünsche zu reflektieren und die Befolgung dieser Wünsche sicherzustellen.